SUSANNE ALTMANN SCHREIBT IN DER STADTZEITUNG KREUZER:

Platonischer Pyromane

Hans Nevidal aus Wien und seine Projektionen

10. Mai 2002: Wie schon im letzten Jahr lodern an der Außenwand der deutschen Bücherei Flammen. Das Feuer gilt als mächtigster Feind aller Bücher, mindestens seit im Jahre 49 v.u.Z. die legendäre Bibliothek von Alexandria verbrannte und mit ihr große Teile des Wissens aus Orient und Okzident. Mit großangelegten Autodafés wurden später immer wieder gezielt unliebsame Drucksachen und Aufzeichnungen vernichtet; die symbolisch-purgatorische Kraft des Feuers in den Dienst ideologischer Interessen gestellt.

Die neuerlichen Flammen an einem der wichtigsten Bibliotheksgebäude Deutschlands hat Hans Nevidal gezündet, Künstler aus Wien und erinnert damit an die nationalsozialistische Bücherverbrennung, die bekanntermaßen in der Bücherstadt Leipzig so nie stattgefunden hat. In großen Universitätsstädten wie Berlin, Bonn, Breslau, Frankfurt, Göttingen, Greifswald entflammten am 10.Mai 1933 die Buchseiten - Leipzig allerdings als Stadt der Verlage und der Literatur war das Feigenblatt inmitten all dieser Scheiterhaufen. Mit seinen „Projektionen zum 10. Mai“ will Nevidal ein ephemeres, bis ins Jahr 2033 fortzuführendes Denkmal des Erinnerns errichten; ein „Denkmal in der Zeit“, das vor dem Hintergrund der Denk- und Mahnmalsdebatten neue Wege beschreitet und als Findung der „Time Based Art“ vielleicht nicht weniger eindringlich funktioniert als skulpturale Setzungen. Doch vor allem -und das darf durchaus kontrovers interpretiert werden- setzt sich der Österreicher über festgefahrene Befindlichkeiten hinweg, die eng mit derlei Diskussionen verbunden sind und bricht den Ernst des Themas mit einiger Ironie. Wer sich an jenem Freitagabend also an der DB einfindet, wird überrascht sein von der Auswahl der 36 mm Filme, die da öffentlich projiziert werden. Es handelt sich um Brandschutzfilme aus der DDR, Kostbarkeiten aus dem Archiv der Leipziger Berufsfeuerwehr.

Schon während seines Architekturstudiums hat sich Nevidal für derlei Skurrilitäten begeistert, war doch einer seiner Kommilitonen der Sohn des Wiener Brandschutzkommandanten, der seltsame filmische Dokumentationen von Großbränden zeigte. Die 35 mm Filme aus Ostdeutschland nun befassen sich in bekannter ungelenk didaktischer Weise mit Strategien zur Brandvermeidung, im Walde beispielsweise oder im Umfeld von Karnevalsdekorationen. So dürfte der ungewöhnliche Kinoabend neben der metaphorischen Ebene des Gedenkens auch Leckerbissen für Cineasten anbieten.

Hans Nevidal, 1956 geboren, dem schwarzen Humor und surrealer Alltagspoesie deutlich zugeneigt, ist immer ein politische Künstler gewesen. In der Tradition von Klaus Staeck und Joseph Beuys stehend, hat er stets versucht, engagierten Inhalten eine ästhetisch sinnfällige Form zu geben. „Politisches Engagement allein ist noch lange keine gute Kunst.“ räsoniert er und: “Meist sind die Resultate viel zu verklausuliert. Ich bewundere den Beuys schon sehr, der das alles unter einen Hut bekommen hat.“ So überrascht es kaum, dass Hans Nevidal kürzlich im Beuys-Schrein der Gebrüder van der Grinten, im Schloss Moyland eine eigene Wand für seine Druckgrafiken und Plakatarbeiten bekommen hat. Er betrachtet sich selbst als einen eher „chaotischen Experimentalgrafiker“ und betreibt ein visuelles Materialrecycling, dem die Musikszene der Gegenwart den schönen Namen „Sampling“ gegeben hat. Schließlich handelt es sich auch bei den Brandschutzfilmen um kinästhetische Trouvaillen, in einem neuen Kontext platziert. Zu der Idee der Projektionen war Nevidal eher zufällig gekommen, als er 1999 seine Ausstellung in einer Frankfurter Galerie aufbaute. Gegenüber der Deutschen Bibliothek und in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem jüdischen Friedhof stellte sich ein historischer Ortsbezug her, der nach einem künstlerischen Statement zu verlangen schien. Die Verantwortlichen der Frankfurter Bibliothek konnten sich mit der Idee des „Denkmals in der Zeit“ überhaupt nicht anfreunden und lehnten die Projektionen radikal ab: „Wir sehen uns nicht als den geeigneten Ort dafür.“. Kein Grund zur Entmutigung für den virtuellen Brand- und Bildstifter: das Event fand ohne Genehmigung statt und veranlasste die Hüter der Literatur zu milden Tadel: „Sie haben uns in diesem Jahr mit Ihren nicht genehmigten Aktivitäten überrascht, um nicht zu sagen überrumpelt. Nur aus der Tatsache heraus, dass Sie keinen Schaden anrichteten und den Platz in gutem Zustand zurück ließen, erklärt sich, dass wir Sie gewähren ließen und von einer Anzeige absahen.“ Ungebrochen wird auch in diesem Jahr wieder, unter dem schönen Titel „Gefahr erkennen und Kennzeichnung“ ein Videofilm des österreichischen Bundesfeuerwehrverbandes über die Fassade der Frankfurter Bibliothek flimmern, so lange bis die Feuerwehr, pardon: die Polizei kommt. Derlei anarchistische Taktiken brauchen für das Parallelereignis in Leipzig nicht bemüht zu werden. Hier läuft alles legal und die Ordnungshüter beschirmen die nächtliche Szenerie mit einigem Wohlwollen. Überhaupt findet Hans Nevidal, dass sein Projekt im Osten viel aufmerksamer angenommen wird und verweist auf den Kooperationswillen seiner Leipziger Partner von der Hochschule für Grafik und Buchkunst und vom Kunstraum B/2. Liegt das wohl daran, dass es hierzulande ein gewisses Vakuum gibt, wenn es zur politischen Kunst der 70er und 80er Jahre kommt? Der alte Faktor des Nachholbedarfs also? Der beste Prüfstein des Interesses wird ohnehin das Publikum sein, das sich am 10.Mai an der Deutschen Bücherei versammelt.

Susanne Altmann

Erstabdruck in KREUZER. Leipziger Stadtmagazin, 5/2002